Die Gedanken sind frei!
Sie unterliegen nicht der Kontrolle und Freigabe der institutionellen Religionen wie der Abraham-Religionen (christlichen Kirchen islamischen Moscheen, jüdischen Synagogen) und Konfessionen. Die geistige Autonomie des denkenden Menschen beginnt deshalb auch mit der Einforderung seiner persönlichen Religions- und Geistesfreiheit und darüber hinaus immer noch mit der Durchsetzung der Religions- und Geistesfreiheit in der säkularen Gesellschaft generell.
Grundsätzlich gibt es überhaupt keine Erkenntnis, die absolute Gültigkeit hat, nicht einmal in den Naturwissenschaften. Dort sind Erkenntnisse nur solange gültig, bis sie durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse falsifiziert werden. Die naturwissenschaftliche Forschung und damit das Vernunftdenken treibt das Erkennen im Einzelnen und im Gesamten ungebremst nach vorne und korrigiert so ständig altes Wissen. Dies hat auch uneingeschränkt für alle Aussagen der Religion und der Theologie zu gelten. Sie genießen keinen überirdischen Schutz. Der Mensch hat aus dem Jenseits kein absolutes Vorwissen mitbekommen, weder vor der Geburt noch irgendwo im Leben. Der Mensch musste sich alles selbst erarbeiten. Dabei erkennt er häufig, dass das, was vorher gedacht und erkannt wurde, so gar nicht sein kann. Deshalb muss er selber neu nachdenken, etwa darüber, dass der Mensch überhaupt kein von Gott geschaffenes Wesen außerhalb der Natur ist, sondern innerhalb der Natur als Natur entstanden ist. Der moderne Mensch musste und muss nahezu aus allen Denk-Ergebnissen aussteigen, die ihm aus alter Zeit überkommen sind.
Die materiell-wissenschaftliche Erklärung des Geistes hebt einen transzendenten Geist in welcher Form auch immer auf. Sie erweist alle transzendenten Behauptungen der Religionen und der Theologien ausnahmslos als fromme Erfindungen des menschlichen Gehirns. Noch nie hat ein Gott, welcher Gott auch immer, aus dem Jenseits auf die Menschen herunter geredet, immer nur haben die Menschen aus dem Diesseits auf Gott zu geredet. Alles behauptete Reden Gottes ist deshalb nichts als Reden des Menschen über Gott. Selbst die höchsten Gottesoffenbarungen sind nichts weiter als Produkte des menschlichen Gehirns, sind menschliche Projektionen, sind Anthropologie. Der Mensch hat sich mit seinen Gedanken Gott für sein Menschsein zurechtgemacht. Gottes Geist ist immer Menschengeist. Der Mensch ist sich in seinen Gottesvorstellungen selber Gott.
Menschheitsgeschichtlich ist diese Feststellung, dass Religion und Theologie Produkte des menschlichen Geistes sind, eine höchst befreiende Selbsterkenntnis. Diese Erkenntnis zerstört keineswegs das menschliche Selbstbewusstsein, sie bringt es überhaupt erst zur vollen Geltung. Denn sie öffnet uns Menschen den Einblick in die Geschichte unserer eigenen Menschwerdung. Sie zeigt, wie der Mensch in einer langen geistigen Entwicklung mit seinem Denken und Erkennen Stufe für Stufe immer höher aufgestiegen ist. Was der Mensch heute ist, ist er in einem ganz langen natürlichen Wachstumsprozess selber geworden.
Die Religionen, die erste große Kulturstufe der Menschheit: Der Mensch wird sich in der frühen Religionszeit seines Geistes und damit seiner selbst bewusst. Dabei interpretiert er seine Wahrnehmungen aus seinem einfachen werdenden Ich-Erkennen. Natürlich sieht er sich mit seinem persönlichen Ich im Mittelpunkt seines Weltbildes. Er deutet alles auf sich zu und von sich her auf alles andere hin, immer in einem unmittelbaren personalen Bezug. Er kann noch gar nicht anders, als die Welt aus seiner gefühlten Betroffenheit heraus subjektiv zu verstehen. Von daher interpretiert er seine Welt in allen Bedürfnissen naiv, ja, fast kindlich in menschgestaltigen Geschichten, in Mythen. Religion ist gleichsam die Kindheitsphase der Menschheit.
Die Naturwissenschaften sind schließlich im vorerst letzten Schritt die dritte große Kulturstufe der Menschheit: In den Naturwissenschaften löst sich der Mensch in seiner objektiven Forschung aus seinem subjektiven Erkenntnisdruck. Er löst sich aus seiner persönlichen Ich-Betroffenheit. Er definiert die Welt nicht mehr in personalen Bezügen, sondern in objektiver Wirklichkeit. Der Mensch wird zum externen Beobachter. In dieser Position wird seine emotionale Dominanz aufgehoben, wird nicht mehr bestimmend ausgedrückt. Der Mensch distanziert seine Erkenntnisse in mathematischen Formeln, in denen er selbst subjektiv und transsubjektiv nicht mehr vorkommt. Seine Naturwissenschaften streben zur totalen Objektivität, in der der beobachtende Mensch selbst keine Rolle spielt. In dieser Denkwelt ist Gott als reale Objektivität nicht auffindbar. Es gibt ihn nicht. Er wird auch nicht mehr gebraucht. In einem naturwissenschaftlichen Versuch ist Gott nicht einmal mehr eine Hypothese. Naturwissenschaften sind gleichsam die Erwachsenenphase der Menschheit in einer säkular-objektiven Wirklichkeit.
Insgesamt ist die Entwicklung des menschlichen Geistes zu einer individuellen Persönlichkeit über Religion, hin zum naturwissenschaftlichen Denken eine fantastische Leistung des werdenden Menschen, die er in Jahrtausenden bis heute ganz allein fertig gebracht hat. Wie die Naturwissenschaften vitaler Ausdruck unserer Zeit heute sind, so sind Religion und Theologie je typische Bewusstseinsstufen der uns vorausgegangenen Menschheits- und Menschengeschichte. Jede dieser früheren Kulturstufen ist bedingt durch ihre eigene generelle geistig-soziale Struktur, ist die Gestalt ihrer gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse. Ohne sie gäbe es unsere Kulturstufe heute nicht.
Genau genommen sind Naturwissenschaften heute letztlich nur eine lineare Fortsetzung der geistigen Prozesse von Religion und Theologie auf einem höheren Realitätsniveau. Insofern haben auch diese elementaren Bewusstseins-Vorstufen existentiell volle menschliche Berechtigung, beinhalten alte menschliche Erfahrungen, alte menschliche Werte und Lebenskonzepte. Sie sind der Menschheitsgeschichte wesensmäßig systemimmanent.
Das Verfassungsrecht deklariert den freien Geist als ein Naturrecht, als von der Natur vorgegeben gegenüber einem Kulturrecht, das sich aus sozialen Machtverhältnissen entwickelt hat und dem Menschen als Bevormundung und Unterdrückung gewaltsam aufgezwungen worden ist. Das Naturrecht manifestiert dagegen nicht nur, dass der Mensch von Natur her einen eigenen Geist besitzt, sondern von daher auch ein naturbedingtes Eigentumsrecht auf Nutzung seines eigenen Geistes.
Dieses Grundrecht gibt den Menschen sich selber als geistig autonomen Menschen zurück. Es nimmt ihn heraus aus aller Bevormundung und Meinungsabhängigkeit. Nicht was der Mensch denkt und glaubt, macht ihn zum eigenständigen Menschen, sondern, soweit der Mensch eigenständig denkt und glaubt, macht ihn das zum frei denkenden, eigenständigen Menschen. Unabhängige, eigenständige Entscheidungsfreiheit ist das Kennzeichen eines autonomen Individuums.
Bekämpft werden müssen deshalb alle jene Kräfte, die die Religion und Theologie und Wissenschaft immer schon und immer noch benutzen, um die Denkfreiheit des Menschen zu reglementieren, zu zerstören. Sie bekämpfen den denkenden Menschen, indem sie ihre eigenen Denkstufen auf andere hin verabsolutieren und damit deren Weiterentwicklung freier Ideen verhindern, generell die freien Denkabläufe des menschlichen Geistes mit rigiden Maßnahmen im Persönlichen und im Gesellschaftlich-Allgemeinen zu stoppen suchen, verfolgen, verbieten. Das betrifft seit jeher alle weltlichen Machthaber, speziell aber die Religionsbosse und Glaubensinstitutionen, die den Geist der Menschen auf von ihnen gesetzte ideologisch-dogmatische Grenzen beschränken und ihre institutionalisierte Meinung verabsolutieren.
Dagegen hat ein freiheitlich denkender Mensch zu kämpfen. Die Gedanken sind frei!